Schreckgespenst Ethikunterricht?
Mit dem heurigen Schuljahr wird nach mehr als zwanzig Jahren im Schulversuch der Ethikunterricht ab der 9. Schulstufe österreichweit als Pflichtfach eingeführt - für alle jungen Menschen, die keinem Bekenntnis angehören oder vom Religionsunterricht abgemeldet sind, Berufsschulen und Polytechnische Schulen sind ausgenommen.
Ich werde immer wieder gefragt, ob ich mir angesichts des Ethikunterrichts Sorgen mache um die Zukunft des Religionsunterrichts, ob die Teilnahme am Religionsunterricht wohl zurückgehen wird und ob ich befürchte, dass ein zeitgemäßer Ethikunterricht zur Bedrohung für Religion werden könnte. Ich weiß um die Qualität des Religionsunterrichts und das vielfältige Engagement der Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Auch weiterhin werden Schülerinnen und Schüler sich bewusst für den Religionsunterricht entscheiden, auch solche, die keinem Bekenntnis angehören. Er bringt die großen Fragen ein, die junge Menschen bewegen: Wer bin ich? Was sind Sinn und Ziel meines Lebens? Was gibt mir Halt?
Religion bietet Antworten aus dem Glauben, drängt sie nicht auf, verpflichtet nicht zur Übernahme. Der Religionsunterricht greift immer schon ethische Fragen auf und diskutiert die unterschiedlichen Perspektiven dazu, nimmt aber aus der eignen Tradition heraus klar Stellung. Religion und Ethik verfolgen dasselbe Ziel: Schülerinnen und Schüler zu selbständiger gelingender Lebensgestaltung zu befähigen, ihnen Orientierungshilfen zu geben, sie zur fundierten Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens anzuleiten. Beide Fächer erögffnen Begegnung mit unterschiedlichen philosophischen, weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Traditionen, Welt- und Menschenbildern. So leisten sie einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Im konfessionellen Religionsunterricht erfolgt dies auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und christlicher Werte, für die die Religionslehrerin / der Religionslehrer steht. Die Schülerinnen und Schüler werden mit Wissen über ihre Konfession vertraut gemacht und ermutigt, ihr Leben und ihren Glauben selbst zu gestalten. Durch die Beschäftigung mit anderen Religionen und Haltungen lernen sie Respekt, Toleranz und Dialog als Basis einer solidarischen und friedlichen Gesellschaft.
Nach welchen Kriterien werden die Jugendlichen ihre Wahl des einen oder des anderen Unterrichtsgegenstandes anlegen? Letztlich wird bei vielen die Entscheidung weniger am Inhalt hängen als an der Platzierung der jeweiligen Unterrichtsstunde im Stundenplan und der Art und Weise, wie sich an den Schulstandorten die Zusammenarbeit (oder das Gegeneinader) von Religion und Ethik gestaltet. Ich vertraue darauf, dass sensibel und verantwortungsbewusst mit dem großen Auftrag der religiösen und der ethischen Bildung für die künftige Generation umgegangen wird.
Autorin: Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Schule und Buldung der Erzdiözese Wien
Quelle: Kurier, 8.09.2021, S. 23